Das Große Bruch im Wandel – ein Jahresablauf im Landschaftsschutzgebiet „Großes Bruch“

Auf der Landstraße L91 von Veltheim nach Osterode fahrend, eröffnet sich ein prächtiger Ausblick. Links oben der Große Fallstein und das Osteröder Holz, rechts unten das große Bruch, welches 1998 durch den Landrat zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurde. Der schöne Ausblick erweckt das Verlangen, sich das Große Bruch in einer ruhigen Stunde mal genauer anzusehen. Am besten geht dies zu Fuß oder mit dem Fahrrad. In Osterode geht es über die Kirchstraße direkt ins Große Bruch. Vorbei an den letzten Wohnhäusern weist ein unscheinbares sehr klein gehaltenes Schild daruf hin, dass jetzt ein Landschaftsschutzgebiet beginnt. Das Schild ist so klein, dass man dicht herantreten muß, um die Schrift darauf zu lesen. Befestigt ist es an einem naturbelassenem Baumstamm, diese Tatsache – so könnte man meinen – soll den Schutzcharakter unterstreichen im Sinne von „Hier herrscht die Natur“. Vorbei an uralten Kopfweiden gelangt man zum ehemaligen Kolonnenweg, den die Grenztruppen vor der Wende nutzten. Der Weg ist heute beginnend am Osterberg bis an Osterode vorbei ausgebaut und gut befahrbar, geht dann aber wieder über in den elenden Zustand, der es kaum noch zulässt mit Tarktoren oder sonstigen Geräten zu fahren.

Kahl ist es, kein Baum und kein Strauch weit und breit, dafür kilometerweit Wiesen durchzogen von Entwässungsgräben, die Wasser in Richtung Westen in die Weser bzw. in Richtung Osten in die Elbe leiten. Alles in allem sehr beschaulich und der Landschaftsschutz stellt sicher, dass hier nix zerstört wird. Tut er das wirklich?

Seit rund 20 Jahren starte ich meinen morgendlichen Arbeitsweg mit der Fahrt auf der holprigen L91 von Osterode nach Veltheim. Abends endet der Arbeitstag mit der Fahrt in der anderen Richtung. Ich habe also fast jeden Tag Gelegenheit zu sehen, was sich im Großen Bruch so tut. Der Anfang eines Jahres ist wohl die ruhigste Zeit. Im Januar und Febrauar gibt es kaum Aktivitäten. Das ändert sich, sobald der Frost weicht. Die während der Wintermonate vollgelaufenen Gülletanks der Tierzuchtbetriebe sind randvoll und müssen dringend entleert werden. Eine gewaltige Maschinerie kommt jetzt zum Einsatz. Wochenlang fahren riesige Tankwagen und liefern Gülle zum „Terra Gator“, einem Monsterdreirad, das die Gülle vom Tankwagen übernimmt und auf den Wiesen verteilt. Mit seinen gigantischen Reifen walzt das Dreirad jeden Quadratzentimeter Wiese platt, wenn es gut läuft. Wenn es nass und matschig ist, zieht es tiefe Spuren in die Wiesenlandschaft.

Je nach Witterung rücken im März und April erneut Maschinen an und vertikutieren das Wiesengras, um es anschließend mit schweren Walzen anzudrücken und die Fläche einzuebenen. Schon wieder wird jeder Quadratzentimeter mehrfach überfahren und spätestens nach dem Walzen dürften Lebewesen in diesem Bodenbereich entgültig verstanden haben, dass sie hier nicht erwünscht sind.

Düngen, Vertikutieren und Walzen zeigen Wirkung. Das Gras wächst gewaltig, so dass bei entsprechender Witterung schon im Mai das erste Mal gemäht werden kann. Vor 20 Jahren war dieser Arbeitsgang für Mensch und Maschine im großen Bruch eine tagelange Tortur. Der unebene Boden zermarterte nicht nur die Technik, sondern auch den Traktoristen und es ging eher zäh voran. Tiere konnten vor den kleinen, langsamen Mähwerken flüchten. Heute kommen Großflächenmähwerke zum Einsatz, die in kürzester Zeit riesige Flächen abrasieren. Keine Chance für Bodenbrüter, Rehkitze, Fuchs und Hase. Alles wird durchgekuttert. In den Tagen danach irren „Elterntiere- und Kinder“ desorientiert auf den Wiesen herum und suchen ihre Angehörigen. Es folgen weitere Bearbeitungsgänge wie das Wenden, Schwaden und Ballenpressen oder Häckseln und Abfahren von Silage. Erneut wird jeder Quadrat… aber das hatten wir ja schon. Spätestens jetzt dürfte nix lebendiges mehr im Bodenbereich zu finden sein.

Die Lagerung von Silageballen erscheint auf den ersten Blick harmlos, jedoch lassen die Bewirtschafter Restbestände, die sich nicht mehr verkaufen lassen über Jahre hinweg an den Wiesenrändern liegen. Riesige Ballenhaufen enstehen, von denen sich im Laufe der Zeit die Folie ablöst und vom Wind in alle Himmelsrichtungen verstreut wird.

Mit dem Start der Biogasanlagen vor einigen Jahren wurde auch die Bewirtschaftung im Großen Bruch intensiviert. In einigen Jahren wurde sogar Ende Oktober noch Gras gemäht und gehäckselt, um den Hunger der Biogasanlagen zu stillen. Doch nicht nur das. Die Fermenter der Anlagen müssen von Zeit zu Zeit von Sinkstoffen befreit werden. Auch diese Masse wird so wie die Gülle ins Große Bruch gefahren und dort ausgebracht. Ab November kehrt wieder die ruhige Zeit ein.

Dieser ständig wiederkehrende Jahresablauf wird großzügig gefördert. Das Amt für Landwirtschaft zahlt den Bewirtschaftern Fördermittel für Grünlandpflege oder extensive Landwirtschaft. Ein einträgliches Geschäft, das den Unternehmern neben Einnahmen für Biomasse sowie Heu- und Silageverkauf reichlich Geld ins Portemonnaie spült. Wen wundert es da, wenn die Wiesenflächen reissenden Absatz finden. Trotzdem ist die Anzahl der Bewirtschafter im Bereich Osterode/Veltheim auf eine handvoll geschrumpft. Wer schon große Flächen bewirtschaftet, bekommt immer noch etwas dazu und verdrängt über großzügige Pachtpreise die kleineren Interessenten.

Eines fällt auch noch auf. Von oben betachtet ist die Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen nicht nur durch die ehemaligen Kolonnenwege zu erkennen. Ein weiteres Merkmal ist die Tastsache, dass auf der niedersächsischen Seite sehr viele Bäume wachsen, darunter einige uralte Riesen. Wie mit der Rasierklinge abgeschnitten, endet der Baumbewuchs an der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Diese Grenze ist gleichzeitig der Beginn des Landschaftzsschutzgebietes. Dort wurden im Bereich Osterode / Veltheim seit der Wende fast alle Bäume gefällt. Auch fehlt sämtliches Buschwerk. Die Flurneuordnung in 2015 / 2016 war Anlass auch die letzten Baumriesen zu fällen. Es hiess: „Das sind Pappeln, die müssen gefällt werden, wenn sie ein gewisses Alter erreichen“. Der Blick über die Landesgrenze zeigt, dass man dort offensichtlich anderer Meinung ist. Die Bämue sind stehen geblieben. Stürme betreiben natürliche Auslese, von Zeit zu Zeit rafft es eine Pappel dahin. Dann wird sie an die Seite gezerrt und gut ist’s.

Übrigens: In der Verordnung des Landkreises Halberstadt über das Landschaftsschutzgebiet steht unter anderem:

Der landschaftliche Charakter des Großen Bruchs wird betimmt durch:

  • Das Vorhanden sein von Baumreihen, Hecken, Gebüschen und Einzelbäumen sowohl entlang von Gewässern und Wegen, als auch inmitten der landwirtschaftlich genutzen Flächen.

Welch ein Widerspruch. https://www.kreis-hz.de/download/50168/lsg_vo_groszes_bruch_hbs.pdf

Jetzt fragt man sich, wie sich die gelebte Praxis mit dem Landschaftsschutz vereinigen lässt? Und was das kleine Schild, das am Anfang zu sehen war, eigentlich aussagen soll? Es erscheint jetzt eher wie eine Absichtserklärung. „Hier könnte einmal ein Landschaftsschutzgebiet enststehen“ sollte die Aufschrift lauten. Vielleicht sollte es noch viel kleiner sein, unlesbar oder unsichtbar. Besser noch, es wird ganz und gar entfernt. Dann erwarten Besucher des Großen Bruchs keine naturbelassene Landschaft.

Klaus Bötticher

Osterode im August 2017

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