Von Flüchtlingselend, fehlender Empathie und gefüllten Lebkuchenherzen.
Herbst ist Erntezeit und wir fahren die Ernte ein, allerdings ganz anders, als wir uns das dachten. So war das doch nicht geplant, als wir unseren Wohlstand auf den Knochen anderer errichteten, dass die Verelendeten eines Tages an unsere Tür klopfen könnten. Wo gibt es denn so was, gehen uns die Flüchtlinge einfach an unsere Spekulatius und bereiten Probleme. Aber es bewahrheitet sich nur einmal mehr die alte Erkenntnis, dass man sich im Leben eben zweimal sieht, und dann geht Weggucken nicht mehr. Deutschland verkauft als drittgrößter Waffenexporteur Waffen in alle Welt, viel zu unkritisch, viel zu sehr von kurzatmiger Tagespolitik als von Horizonte überblickender Weisheit bestimmt, schon bis Oktober 2015 mehr als im gesamten Jahr 2014 zusammen. Darüber kann auch das geschäftige diplomatische Herumwuseln unseres Außenministers nicht hinwegtäuschen.
Wir haben zum Beispiel in den vergangenen Jahrzehnten die Diktatur in Äthiopien auch militärisch unterstützt, ohne danach zu fragen, welche Folgen das in Somalia oder Eritrea zeitigt. Jetzt bekommen wir quasi als Rendite die Flüchtlinge und diffamieren diese auch noch als Wirtschafts-flüchtlinge. Wahrhaft schäbig! Denn auch für die so genannten Wirtschaftsflüchtlinge tragen wir Verantwortung. Derzeit wehren sich viele zu Recht gegen die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada. Bereits vor einigen Jahren hat die EU viele afrikanische Staaten per Erpressung dazu gezwungen, das Freihandelsabkommen EPA zu unterzeichnen, das eine Öffnung der afrikanischen Märkte von 83% erzwingt zum Verderben vieler kleiner afrikanischer Produzenten. Es gilt der alte Satz J.-J. Rousseaus , dass zwischen dem Starken und dem Schwachen es die Freiheit ist, die unterdrückt und das Gesetz es ist, das befreit. Aber davon wollen wir lieber nichts wissen.
Jetzt wird uns für ein ungerechtes Weltwirtschaftssystem die Rechnung präsentiert. Es ist wirklich ärgerlich. Was mir aber wirklich Sorgen macht, ist die fehlende Empathie weiter Teile unseres Volkes. Während die vielen ehrenamtlichen Helfer bis an den Rand der Erschöpfung versuchen die Hilfe zu leisten, zu der unser abgewirtschaftetes, dereguliertes Gemeinwesen nicht mehr in der Lage ist, ziehen Horden grölender Neonazis durch unsere Städte und machen Stimmung gegen die Schutz suchenden Flüchtlinge. Wer am Reformationstag den Aufmarsch dieser dumpfbackigen Horden in Halberstadt miterlebt hat, den kann es doch nur gruseln. Da wird im gleichen mörderischen Tonfall geröhrt wie 1933. Da ist von der „Wanze Demokratie“ die Rede, der es jetzt gilt den Garaus zu machen, da wird den Gegnern der Nazis der Steinbruch in Aussicht gestellt und von Andersdenkenden als von Ungeziefer gesprochen, das aus hygienischen Gründen entfernt werden muss. Selbst die zionistische Weltverschwörung wird einmal mehr bemüht, um von der eigenen Dummheit abzulenken. Furchtbar! Und es waren viel zu wenige, die sich auf den Weg hatten, gegen diese hasserfüllten Reden zu protestieren. Mehr als 500 waren wir nicht, und doch ist es gelungen zu verhindern, dass diese üblen Hetzer das Stadtzentrum erreichten. Leider nur 500 von mehr als 80.000 im Landkreis Halberstadt. Alles, was das Böse benötigt, ist das Schweigen der Mehrheit.
Wir gehen auf Weihnachten zu, dem Fest der Liebe und der Mitmenschlichkeit, dem Kommen Gottes in diese Welt. Es sollte uns doch ein Leichtes sein, diese Liebe weiterzugeben und ein weites Herz zu zeigen, anstatt eifersüchtig über unsere gefüllten Lebkuchenherzen zu wachen. Jetzt haben wir die einmalige Chance aller Welt zu zeigen, dass wir mit dem Rassismus der Nazis nichts mehr zu tun haben. Nutzen wir sie! In diesem Sinne einen mitmenschlichen Advent.
Ihr Pfarrer Stephan Werther
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